Siebente Einsamkeit
Eduard MörikeLass, o Welt, o laß mich sein!Verborgenheit
Locket nicht mit Liebesgaben,
Laßt dies Herz alleine haben
Seine Wonne, seine Pein!
Was ich traure weiß ich nicht:
Es ist unbekanntes Wehe;
Immerdar durch Tränen sehe
Ich der Sonne liebes Licht.
Oft bin ich mir kaum bewußt
Und die helle Freude zücket
Durch die Schwere, so mich drücket
Wonniglich in meiner Brust.
Laß, o Welt, o laß mich sein!
Locket nicht mit Liebesgaben,
Laßt dies Herz alleine haben
Seine Wonne, seine Pein!
An eine Äolsharfe
Angelehnt an die Efeuwand
Dieser alten Terrasse,
Du, einer luftgebornen Muse
Geheimnisvolles Saitenspiel,
Fang an,
Fange wieder an
Deine melodische Klage!
Ihr kommet, Winde, fern herüber,
Ach! von des Knaben,
Der mir so lieb war,
Frisch grünendem Hügel.
Und Frühlingsblüten unterweges streifend,
Übersättigt mit Wohlgerüchen,
Wie süß bedrängt ihr dies Herz!
Und säuselt her in die Saiten,
Angezogen von wohllautender Wehmut,
Wachsend im Zug meiner Sehnsucht,
Und hinsterbend wieder.
Aber auf einmal,
Wie der Wind heftiger herstößt,
Ein holder Schrei der Harfe
Wiederholt, mir zu süßem Erschrecken,
Meiner Seele plötzliche Regung;
Und hier – die volle Rose streut, geschüttelt,
All ihre Blätter vor meine Füße!
An die Geliebte
Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,
Dann hör ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt,
Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
Mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?
Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
Ich höre aus der Gottheit nächtger Ferne
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.
Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,
Zum Himmel auf – da lächeln alle Sterne;
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.
Früh im Wagen
Es graut vom Morgenreif
In Dämmerung das Feld,
Da schon ein blasser Streif
Den fernen Ost erhellt.
Man sieht im Lichte bald
Den Morgenstern vergehn,
Und doch am Fichtenwald
Den vollen Mond noch stehn:
So ist mein scheuer Blick,
Den schon die Ferne drängt,
Noch in das Schmerzensglück
Der Abschiedsnacht versenkt.
Dein blaues Auge steht,
Ein dunkler See, vor mir,
Dein Kuß, dein Hauch umweht,
Dein Flüstern mich noch hier.
An deinem Hals begräbt
Sich weinend mein Gesicht,
Und Purpurschwärze webt
Mir vor dem Auge dicht.
Die Sonne kommt; – sie scheucht
Den Traum hinweg im Nu,
Und von den Bergen streicht
Ein Schauer auf mich zu.
Joseph von Eichendorff
Das Ständchen
Auf die Dächer zwischen blassen
Wolken scheint der Mond herfür,
Ein Student dort auf der Gassen
Singt vor seiner Liebsten Tür.
Und die Brunnen rauschen wieder
Durch die stille Einsamkeit,
Und der Wald vom Berge nieder,
Wie in alter, schöner Zeit.
So in meinen jungen Tagen
Hab ich manche Sommernacht
Auch die Laute hier geschlagen
Und manch lustges Lied erdacht.Aber von der stillen Schwelle
T ugen sie mein Lieb zur Run –
Und du, fröhlicher Geselle,
Singe, sing nur immer zu!
Der Abend
Schweigt der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewußt,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.
Die Nachtblume
Nacht ist wie ein stilles Meer,
Lust und Leid und Liebesklagen
Kommen so verworren her
In dem linden Wellenschlagen.
Wünsche wie die Wolken sind,
Schiffen durch die stillen Räume,
Wer erkennt im lauen Wind,
Obs Gedanken oder Träume? –
Schließ ich nun auch Herz und Mund,
Die so gern den Sternen klagen:
Leise doch im Herzensgrund
Bleibt das linde Wellenschlagen.
Nachts
Ich stehe in Waldesschatten
Wie an des Lebens Rand,
Die Länder wie dämmernde Matten,
Der Strom wie ein silbern Band.
Von fern nur schlagen die Glocken
Über die Wälder herein,
Ein Reh hebt den Kopf erschrocken
Und schlummert gleich wieder ein.
Der Wald aber rühret die Wipfel
Im Traum von der Felsenwand.
Denn der Herr geht über die Gipfel
Und segnet das stille Land.
Mondnacht
Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Heinrich Heine
Wo?
Wo wird einst des Wandermüden
Letzte Ruhestätte sein?
Unter Palmen in dem Süden?
Unter Linden an dem Rhein?
Werd ich wo in einer Wüste
Eingescharrt von fremder Hand?
Oder ruh ich an der Küste
Eines Meeres in dem Sand?
Immerhin! Mich wird umgeben
Gottes Himmel, dort wie hier,
Und als Totenlampen schweben
Nachts die Sterne über mir.
Aus den Himmelsaugen droben
Aus den Himmelsaugen droben
Fallen zitternd goldne Funken
Durch die Nacht, und meine Seele
Dehnt sich liebeweit und weiter.
O, ihr Himmelsaugen droben!
Weint euch aus in meine Seele,
Daß von lichten Sternentränen
Überfließet meine Seele.
Gottfried Keller
Die Zeit geht nicht
Die Zeit geht nicht, sie stehet still,
Wir ziehen durch sie hin;
Sie ist ein Karawanserei,
Wir sind die Pilger drin.Ein Etwas, form- und farbenlos,
Das nur Gestalt gewinnt,
Wo ihr drin auf und nieder taucht,
Bis wieder ihr zerrinnt.
Es blitzt ein Tropfen Morgentau
Im Strahl des Sonnenlichts;
Ein Tag kann eine Perle sein
Und ein Jahrhundert nichts.
Es ist ein weißes Pergament
Die Zeit, und jeder schreibt
Mit seinem roten Blut darauf,
Bis ihn der Strom vertreibt.
An dich, du wunderbare Welt,
Du Schönheit ohne End,
Auch ich schreib meinen Liebesbrief
Auf dieses Pergament.
Froh bin ich, daß ich aufgeblüht
In deinem runden Kranz;
Zum Dank trüb ich die Quelle nicht
Und lobe deinen Glanz.
Detlev von Liliencron
Auf Einem Bahnhof
Aus einer Riesenstadt verirrt ich mich
Auf einen weit entlegnen kleinen Bahnhof.
Ein Städtchen wird vielleicht von hier erreicht
Von Männern, die vom Morgen an viel Stunden
Am Pult, in Läden und Kanzlei gesessen,
Und nun des Abends im Familienkreise
Den Staub abschütteln wollen vom „Geschäft".
Ein glühend heißer Sommertag schloß ab.
Es war die Zeit der Mitteldämmerung.
Der neue Mond schob wie ein Komma sich
Just zwischen zwei bepackte Güterwagen.
Im Westen lag der stumme Abendhimmel
In ganz verblaßter, milchiggelber Farbe.
An diesem Himmel stand wie ausgeschnitten
Ein Haufen Schornsteintürme vor der Helle.
Aus allen Schloten qualmte dicker Rauch,
Erst grad zur Höh, dann wie gebrochen bald,
Beinah im rechten Winkel, einem Windzug
Nachgebend, der hier Oberhand genommen.
In wunderlich geformten Öfen dort,
Die offne Stellen zeigten, lohte ruhig,
Ganz ruhig, ohne jeden Flackerzug,
Ein dunkelblauer starker Flammenmantel.
Und aus der großen Stadt klang dumpf Geräusch,
Ein brodelnd Kochen, das ich einmal schon
Gehört, als vor Paris wir Deutschen lagen,
Indessen drinnen die Kommune sich
Im Höllenlärme blutige Wangen wusch.
Das fiel mir ein in diesem Augenblick.
Und wie auch damals, kam ein Bild von neuem:
Scharf, wie geputztes Messing blank, erglänzte
Hoch über allem Zank der Jupiter.
Und heut wie einst: der Jupiter stand oben,
Von allen Sternen er allein zu sehn,
Und schaute auf den ewigen Erdenkampf,
Der mir so wüst in dieser Stunde schien.
Und wie bezwungen sprach ich vor mich hin
Mit leiser Lippe: Zwanzigstes Jahrhundert.
Um mich wars leer; ein letzter Zug hielt fertig,
Die letzten Arbeitsmüden zu erwarten.
Ein Bahnbeamter mit knallroter Mütze
Schoß mir vorbei mit Eilgutformularen.
Sonst nichts. Nur oben stand der Jupiter,
Die blauen Flammen lohten geisterhaft,
Und aus der Stadt her drang verworrner Ton.
In einer grossen Stadt
Es treibt vorüber mir im Meer der Stadt
Bald der, bald jener, einer nach dem andern.
Ein Blick ins Auge, und vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.
Es tropft vorüber mir ins Meer des Nichts
Bald der, bald jener, einer nach dem andern.
Ein Blick auf seinen Sarg, vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.
Es schwimmt ein Leichenzug im Meer der Stadt,
Querweg die Menschen, einer nach dem andern.
Ein Blick auf meinen Sarg, vorüber schon.
Der Orgeldreher dreht sein Lied.
Liebesnacht
Nun lös ich sanft die lieben Hände,
Die du mir um den Hals gelegt,
Daß ich in deinen Augen finde,
Was dir das kleine Herz bewegt.
O sieh die Nacht, die wundervolle,
In ferne Länder zog der Tag.
Der Birke Zischellaub verstummte,
Sie horcht dem Nachtigallenschlag.
Der weiße Schlehdorn uns zu Häupten,
Es ist die liebste Blüte mir.
Trenn ab ein Zweiglein, eh wir scheiden,
Zu dein' und meines Hutes Zier.
Laß, Mädchen, uns die Nacht genießen,
Allein gehört sie mir und dir.
Die Blüte will ich aufbewahren
An diese Frühlingsstunde hier.
Sehnsucht durch den Tag
Ich komme, wenns dunkel ist, sprach er heut morgen,
Da mußt du für sichern Eingang sorgen.
Ach, wäre die Zeit erst, ach, wär er erst hier,
Mein lustiger Liebster, mein Kavalier.
Ich lasse zuerst ihn im Zimmer allein,
Und trete dann langsam zu ihm hinein.
Ein wenig erstaun ich, bin etwas verlegen,
Und möcht ihm so gerne doch eilends entgegen.
„Stolz wie die Königin". Wie das klingt,
Wie mir das Wort in den Ohren singt.
Und stürmisch will er mich gleich umfassen,
Und nicht einen Schritt darf ich von ihm lassen.
Und was er dann alless zu mir spricht,
Davon das Meiste versteh ich nicht.
Errötend fühl ich mein Ungeschick,
Schau bald ihm ins Auge, bald senk ich den Blick.
Schlägt er den Arm mir um Schulter und Nacken,
Muß ich den lieben Jungen packen
Und muß ihn herzen und muß ihn küssen,
Als wär es vorm Abschiednehmenmüssen.
Erzählt er Geschichten, hör ich ihm zu,
Als säß ich in Himmel und Himmelsruh.
Das Lämpchen will ausgehn, zu kurz ist der Docht,
Daß schier mich Beklemmung und Angst unterjocht.
Wie lacht er, wie küßt er mir Mund und Stirn:
Du schlaues Mädel, du süße Dirn,
Ich glaube, mit Absicht läßt dus nicht brennen,
Du meinst, daß im Dunkeln wir auch uns erkennen.
Ach, wär es erst Abend, wie schleicht der Tag,
Noch klang nicht vom Turm der Wesperschlag.
Ach, wäre die Zeit erst, ach wär er erst hier,
Mein lustiger Liebster, mein Kavalier.
Das Kornfeld
Als die Saat der Erd entsprossen,
Als der Frühlingswind sie neckte,
Sind wir manchen stillen Abend
Langsam durch' sie hingeschritten
Hand in Hand.
Kamen Menschen uns entgegen,
Wollten sie uns überholen,
Ließen wir die Hände locker,
Gingen ehrbar Seit an Seite,
Wie's sich ziemt.
Waren dann die Menschen wieder
Unserm Augenkreis entschwunden,
Fanden schleunigst sich von neuem
Unsre Hände, unsre Lippen,
Wie's so geht.
Da das Feld nun steht in Ähren,
Überall Verstecken bietet
Allerzärtlichstem Getändel,
Wandr ich müde meines Weges
Und Allein.
Hermann HesseKind im Frühling So weiß im reichen Maienblust
Die schmucken Bäume stehen,
Es muß die ganze Blütenlust
Im nächsten Wind verwehen.
Auch deine jungen Tage, Kind,
Und deine Lustgebärden,
Sie müssen bald, so hold sie sind,
Verblühn und dunkel werden.
In Schmerzen nur und Dunkelheit
Wird süße Frucht geboren.
Doch ist sie reif, so war kein Leid
Und war kein Weh verloren.
Ich liebe Frauen, die vor tausend Jahren Ich liebe Frauen –
Geliebt von Dichtern und besungen waren.
Ich liebe Städte, deren leere Mauern
Königsgeschlechter alter Zeit betrauern.
Ich liebe Städte, die erstehen werden,
Wenn niemand mehr von heute lebt auf Erden.
Ich liebe Frauen – schlanke, wunderbare,
Die ungeboren ruhn im Schoß der Jahre.
Sie werden einst mit ihrer sternebleichen
Schönheit der Schönheit meiner Träume gleichen.
Feierliche Abendmusik Immer wieder tröstlich Andante
Und immer neu in ewiger Schöpfung Glanz
Lacht mir die Welt ins Auge,
Lebt und regt sich in tausend atmenden Formen,
Flattert Falter im sonnigen Wind,
Segelt Schwalbe in seliger Bläue,
Strömt Meerflut am felsigen Strand.
Immer wieder ist Stern und Baum,
Ist mir Wolke und Vogel nahe verwandt,
Grüßt midi als Bruder der Fels,
Ruft mir freundschaftlich das unendliche Meer.
Unverstanden führt mich mein Weg
Einer blau verlorenen Ferne zu,
Nirgend ist Sinn, nirgend ist sicheres Ziel –
Dennoch redet mir jeder Waldbach,
Jede summende Fliege von tiefem Gesetz,
Heiliger Ordnung,
Deren Himmelsgewölb' auch midi überspannt,
Deren heimliches Tönen
Wie im Gang der Gestirne
So auch in meines Herzens Taktschlag klingt.Gewölk zerreißt; vom glühenden Himmel her Allegro
Irrt taumelndes Licht über geblendete Taler.
Mitgeweht vom föhnigen Sturm
Flieh ich mit unermüdetem Schritt
Durch ein bewölktes Leben.
Oh, daß nur immer für Augenblicke
Zwischen mir und dem ewigen Licht
Gütig ein Sturm die grauen Nebel verweht!
Fremdes Land umgibt mich,
Losgerissen treibt von der Heimat fern
Mich des Schicksals mächtige Woge umher.
Jage die Wolken, Föhn,
Reiße die Schleier hinweg,
Daß mir Licht auf die zweifelnden Pfade falle!Traum gibt, was Tag verschloβ; Adagio
Nachts, wenn der Wille erliegt,
Streben befreite Kräfte empor,
Göttlicher Ahnung folgend.
Wald rauscht und Strom, und durch den regen Seele
Nachtblauen Himmel Wetterleuchten weht.
In mir und auβer mir
Ist ungeschieden, Welt und ich ist eins.
Wolke weht durch mein Herz,
Wald träumt meinen Traum,
Haus und Birnbaum erzählt mir
Die vergessene Sage gemeinsammer Kindheit.
Ströme hallen und Schluchten schatten in mir,
Mond ist und bleicher Stern mein vertrauter Gespiele.
Aber die milde Nacht,
Die sich über mich mit sanftem Gewölke neigt,
Hat meiner Mutter Gesicht,
Küβt mich lächelnd in unerschöpflicher Liebe,
Schüttelt träumerisch wie in alter Zeit
Ihr geliebtes Haupt, und ihr Haar
Wallt durch die Welt, und es zittern
Blaβ aufzuckend darin die tausend Sterne.
Harte Menschen Wie ist euer Blick so hart,
Will alles versteinen,
Ist nicht der kleinste Traum darin,
Ist alles kalte Gegenwart.
Mag denn in eurem Sinn
Gar keine Sonne scheinen?
Und müsset ihr nicht weinen,
Daß ihr nie Kinder wart?
Der Tag klingt ab, es gilbt sich Glück und Licht, Friedrich Nietzsche Der Tag klingt ab
(Bruchstück)
Mittag ist ferne.
Wie lange noch? Dann kommen Mond und Sterne
Und Wind und Reif: nun säum ich länger nicht,
Der Frucht gleich, die ein Hauch vom Baume bricht.
Nicht lange durstest du noch, Die Sonne sinkt 1
Verbranntes Herz!
Verheißung ist in der Luft,
Aus unbekannten Mündern bläst michs an
– Die große Kühle kommt...
Meine Sonne stand heiß über mir im Mittage
Seid mir gegrüßt, daß ihr kommt
Ihr plötzlichen Winde,
Ihr kühlen Geister des Nachmittags!Die Luft geht fremd und rein.
Schielt nicht mit schiefem
Verführerblick
Die Nacht mich an?…
Bleib stark, mein tapfres Herz!
Frag nicht: warum? –Tag meines Lebens! 2
Die Sonne sinkt.
Schon steht die glatte
Flut vergüldet,
Warm atmet der Fels:
Schlief wohl zu Mittag
Das Glück auf ihm seinen Mittagsschlaf?
In grünen Lichtern
Spielt Glück noch der braune Abgrund herauf.
Tag meines Lebens!
Gen Abend gehts!
Schon glüht dein Auge
Halbgebrochen,
Schon quillt deines Taus
Tränengeträufel,
Schon läuft still über weiße Meere
Deiner Liebe Purpur,
Deine letzte zögernde Seligkeit...Heiterkeit, güldene, komm! 3
Du des Todes
Heimlichster, süßester Vorgenuß!
– Lief ich zu rasch meines Wegs?
Jetzt erst, wo der Fuß müde ward,
Holt dein Blick mich noch ein,
Holt dein Glück mich noch ein.
Rings nur Welle und Spiel.
Was je schwer war,
Sank in blaue Vergessenheit,
Müßig steht nun mein Kahn.
Sturm und Fahrt – wie verlernt er das!
Wunsch und Hoffen ertrank,
Glatt liegt Seele und Meer.
Siebente Einsamkeit!
Nie empfand ich
Näher mir süße Sicherheit
Wärmer der Sonne Blick:
– Glüht nicht das Eis meiner Gipfel noch?
Silbern, leicht, ein Fisch
Schwimmt nun mein Nachen hinaus ...
Rainer Maria Rilke Die Blätter fallen, fallen wie von weit, Herbst
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Wenn der Schnee ans Fenster fällt, Georg Trakl Ein Winterabend
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.
Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.
Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.
Russian translation here